Im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis mit Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena. Sie sehen erbärmlich aus, ganz zerrupft. Er mit Pelzmütze und sie in einem dunkelbraunen Regencape. Er links und sie rechts von mir. Sie versucht ihn unablässig zum Abnehmen seiner Kopfbedeckung zu bewegen, doch er ist störrisch und hält die Mütze mit der Rechten fest auf den Kopf gepresst.
Als er los wettert, sie solle ihn in Frieden lassen, das sei seine Entscheidung, sehe ich seine schlechten Zähne. Sie sind wirklich sehr schlecht.
Außer uns dreien ist niemand weiter anwesend.
Mir fällt das Fehlen jeglicher Hinweise darauf, dass dieser Raum zu einer Zahnarztpraxis gehören könnte auf.
Nachgerade panisch befrage ich Elena Ceausescu dazu. Sie gehe davon aus, hier bei einem Zahnarzt zu sein - aber genau wisse sie es auch nicht. Was sie viel mehr interessiere sei, wie ich dazu stünde, dass ihr Gatte die Frechheit besitzt, in geschlossenen Räumen seine Mütze aufzubehalten. Ich raune ihr zu, dass ich schon lange glaube, es gäbe nun einmal Landstriche, die nichts Gutes hervorbringen. Rumänien hielte ich für einen typischen Fall.
Sie nickt zustimmend.
Dann sitzen wir lange und schweigend in einer Reihe und starren auf die gegenüberliegende Wand. Nicolae, Elena und ich.
Mir fällt ein, dass sie ja auch Rumänin ist. Ängstlich blicke ich zu ihr, sie aber lächelt mich nur freundlich an. Freundlich und sehr, sehr dumm.
Dann verlasse ich den Raum durch die einzige Tür auf die Strasse und kaufe mir ein Joghurt-Eis.
Am Rechner überwältigen mich die Zeilen van Drichs. Er ist göttlich. Zumindest ein großer Dichter.
Kann keine Statistiken, die meine Theorie zur geringeren Strahlungs-Empfindlichkeit bei Alten bestätigen würden, finden. Gerate darüber so sehr in Wut, dass ich mir ein Schweineschnitzel braten muss.
Im Moment bekommt man das sehr preiswert. Beim Essen fällt mir auch auf, warum. Ein neuer Dioxin-Skandal ist im Verzug, lese ich in der Tagespresse. Außerdem neues über die friedenserhaltenden Maßnahmen.
Kürzlich waren in einer Sendung ein New Yorker Vater und sein Sohn portraitiert. Der neunzehnjährige Sohn war Feuer und Flamme, sich freiwillig für den Irakkrieg zu melden. Zum Kummer seines Vaters, der ihn nicht verstand.
Des Vaters Generation; wahrscheinlich eine zwischen den Kriegern.
Papa berichtet mir via Telefon von Großvaters Geburtstag. Wie scheußlich alles gewesen sei. Höre im Hintergrund Muttis relativierendes "Na ja."
Papas Empfinden nach entwickle sich sein Schwiegervater zunehmend zu einem Mynheer Peeperkorn. Mit ausschweifenden Gesten würde er Satzanfänge wahllos aneinander reihen. Mit gewichtiger Miene berichte er vom Kauf einer neuen Klopapierhalterung wie von der Erlösung der Menschheit. Außerdem hätte er zwischen beherzten Wodkazügen immer wieder auf seine jungfräuliche Leber hingewiesen "..jungfräulich, ich sage euch wahrhaft jungfräulich, bestätigt mein Arzt!"
Dabei hätte er nun schon eine richtig rotknollige Trinker-Nase, das könne niemandem entgehen.
Ich versuche ihn durch zurückhaltende Reaktion zu nicht noch mehr Geschichten zu ermuntern. Ich weiß, wie sehr Mutti sich über diese Auswertungen ärgert, auch wenn sie kollegial mitlacht. Schließlich ist es ihr Vater.
Papa wechselt das Thema. Großmutter. Die würde auch immer wirklichkeitsfremder. Mittlerweile behaupte sie, eine Art Ziehvater Kowalskis gewesen zu sein. Bloß weil sie im Osten eine mittel-berühmte Opernsängerin war.
Ich vermute, dass er Mutti ihre privilegierte Kindheit neidet und deshalb gern an ihrer Familie herummäkelt. Eigentlich warte ich auf Protest. Unverhoffter Weise sagt er aber nur "Kann schon sein."
Es passiert mir immer öfter, dass ich einem wichtigen Gedanken sehr nahe zu sein glaube, ihn aber nicht greifen kann. Vage wabert er im Raum, ohne das er Konturen gewinnt. Eine Konzentrationsschwäche oder Hirnschwund?
Als er los wettert, sie solle ihn in Frieden lassen, das sei seine Entscheidung, sehe ich seine schlechten Zähne. Sie sind wirklich sehr schlecht.
Außer uns dreien ist niemand weiter anwesend.
Mir fällt das Fehlen jeglicher Hinweise darauf, dass dieser Raum zu einer Zahnarztpraxis gehören könnte auf.
Nachgerade panisch befrage ich Elena Ceausescu dazu. Sie gehe davon aus, hier bei einem Zahnarzt zu sein - aber genau wisse sie es auch nicht. Was sie viel mehr interessiere sei, wie ich dazu stünde, dass ihr Gatte die Frechheit besitzt, in geschlossenen Räumen seine Mütze aufzubehalten. Ich raune ihr zu, dass ich schon lange glaube, es gäbe nun einmal Landstriche, die nichts Gutes hervorbringen. Rumänien hielte ich für einen typischen Fall.
Sie nickt zustimmend.
Dann sitzen wir lange und schweigend in einer Reihe und starren auf die gegenüberliegende Wand. Nicolae, Elena und ich.
Mir fällt ein, dass sie ja auch Rumänin ist. Ängstlich blicke ich zu ihr, sie aber lächelt mich nur freundlich an. Freundlich und sehr, sehr dumm.
Dann verlasse ich den Raum durch die einzige Tür auf die Strasse und kaufe mir ein Joghurt-Eis.
Am Rechner überwältigen mich die Zeilen van Drichs. Er ist göttlich. Zumindest ein großer Dichter.
Mutter Vor der NaseDas Bild - als Kurzfilm. Die Situation stumm und diese Zeilen als Untertitel. Bruahahaha..
eine
Apothekerzeitschrift,
sah ich
Füße in Schuhen
stecken, die denen
meiner Mutter
ähnelten.
Ich hörte sie noch
vierundzwanzigmal
über den Granit klackern.
Dann
wurde alles
vom Surren einer
Straßenbahn
verschluckt,
die hier alle zwölf Minuten
entlangfährt.
Aber ich blickte nicht auf
von meiner
Apothekerzeitschrift, nur
wegen Gesundheitsschuhen.
Kann keine Statistiken, die meine Theorie zur geringeren Strahlungs-Empfindlichkeit bei Alten bestätigen würden, finden. Gerate darüber so sehr in Wut, dass ich mir ein Schweineschnitzel braten muss.
Im Moment bekommt man das sehr preiswert. Beim Essen fällt mir auch auf, warum. Ein neuer Dioxin-Skandal ist im Verzug, lese ich in der Tagespresse. Außerdem neues über die friedenserhaltenden Maßnahmen.
Kürzlich waren in einer Sendung ein New Yorker Vater und sein Sohn portraitiert. Der neunzehnjährige Sohn war Feuer und Flamme, sich freiwillig für den Irakkrieg zu melden. Zum Kummer seines Vaters, der ihn nicht verstand.
Des Vaters Generation; wahrscheinlich eine zwischen den Kriegern.
Papa berichtet mir via Telefon von Großvaters Geburtstag. Wie scheußlich alles gewesen sei. Höre im Hintergrund Muttis relativierendes "Na ja."
Papas Empfinden nach entwickle sich sein Schwiegervater zunehmend zu einem Mynheer Peeperkorn. Mit ausschweifenden Gesten würde er Satzanfänge wahllos aneinander reihen. Mit gewichtiger Miene berichte er vom Kauf einer neuen Klopapierhalterung wie von der Erlösung der Menschheit. Außerdem hätte er zwischen beherzten Wodkazügen immer wieder auf seine jungfräuliche Leber hingewiesen "..jungfräulich, ich sage euch wahrhaft jungfräulich, bestätigt mein Arzt!"
Dabei hätte er nun schon eine richtig rotknollige Trinker-Nase, das könne niemandem entgehen.
Ich versuche ihn durch zurückhaltende Reaktion zu nicht noch mehr Geschichten zu ermuntern. Ich weiß, wie sehr Mutti sich über diese Auswertungen ärgert, auch wenn sie kollegial mitlacht. Schließlich ist es ihr Vater.
Papa wechselt das Thema. Großmutter. Die würde auch immer wirklichkeitsfremder. Mittlerweile behaupte sie, eine Art Ziehvater Kowalskis gewesen zu sein. Bloß weil sie im Osten eine mittel-berühmte Opernsängerin war.
Ich vermute, dass er Mutti ihre privilegierte Kindheit neidet und deshalb gern an ihrer Familie herummäkelt. Eigentlich warte ich auf Protest. Unverhoffter Weise sagt er aber nur "Kann schon sein."
Es passiert mir immer öfter, dass ich einem wichtigen Gedanken sehr nahe zu sein glaube, ihn aber nicht greifen kann. Vage wabert er im Raum, ohne das er Konturen gewinnt. Eine Konzentrationsschwäche oder Hirnschwund?
Bettina Andrae - am Donnerstag, 20. Februar 2003, 17:39